Glücksfall, Exerzitium in romantischer Magie, Lyrik-Kamasutra

„Wenn Sprache permanenter Entstehungsprozess von Ich und Welt als Kondensat der Wahrnehmung ist, was wäre dann die Suche nach Urwelt und Ursinn? Was wäre der Versuch, unsere ungeheuerliche Sprachmatrix durchstoßen zu wollen, um nach einem Dahinter, nach Bedeutung zu forschen? Donquichotterie! Größtmögliche Eselei! Ikarus auf Tauchfahrt in die Ironie. Sam Lowrys Flucht zwischen die Zeilen, in den Sinnsang zwischen Minne und Unsinn. Um was zu finden? Muss nicht Eden am Urgrund der Sprache liegen, im Irgendwo, ein Atlantis, wie Mutterleib und Liebe? Du? Die Urmeere, sagt man, hatten 37 °C. Den Butt in die Fischfalle locken. Vielleicht weiß er einen Weg.“

{Buchcover von 'spiel-ur-meere', gestaltet von Andreas Töpfer}

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3 Gedichte aus spiel · ur · meere (spiel-ur-meere)

pluie

spieluhren drehn mich
	im flug ∙ hafen moskau wind
	 	beschneit ∙ ihre stimme über meiner

nase, flamenco ihre augen flamenco ich darf ihren nacken
	erraten ∙ was ihre hände malen im gewitter

schlag der tauben
	flügel ∙ wolken, ein straßenjunge putzt sich
	 	die zähne ∙ splitter in meiner schulter spür ich

den sektkelch käsegeruch parfüm für mein wundgelegenes
	warten ∙ ihre hände ihr zögern auf einem

geschlossenen brief, ein kindheits-
	spiel ∙ uhren ein knäbisches zucken in ihrem weit

gefächerten blick & schneller
drehn sich moskau flamenco spieluhr +

	ein alter fotoapparat ∙ spult
mich bild für bild zum anfang zurück

medaillon mit bildchen

das kleine haus
vermisse ich das kleine haus das nie
schläft das kleine haus das sich um seine
pferdchen kümmert + kümmert + kümmert
das kleine haus

ich zähle drei monde, ene mene mu drei
sicheln drei lächelnde sicheln

das kleine haus unter den
sicheln

frau maria ist ein felsmassiv, sie wickelt sie gebiert sie lächelt
ein kind, die beiden sind eins sind zwei
köpfige mitternachtssonnen ineinanderge-
säugt vor
einem anderen felsmassiv

rechts ein wald mit fabrik auf einem
unsinnig hohen pappkarton
werden auf- + untergänge simuliert, die tage
unterscheiden sich

frau maria ist ein pferd sie gebiert wie eine
fabrik an ihrem einzigen
lächeln gebiert sie seit tagen

das kleine haus


// Bildanmerkung, Franz Marc „Tirol“, Öl auf Leinwand, 1914

an den angler in monets bildern

merk dir nie an den wolken (wenn
da ein meer ist – & da
ist ein meer) wo du die fisch
falle versenkst, merk dir immer das über
fließende blau (merks dir am
über) am fluss vom himmel
ins meer, merk dir genau wann
du das meer in den himmel
versenkst, merk dir kein meer
an den wolken (& es gibt diese
wolken – nicht alle sind blau) merk dir am besten
den fisch

Rezensionen (Auswahl)

„Auf Anhieb ein Wurf, der Glücksfall einer formintelligenten Lyrik, die Fragen stellt und Denkwege bahnt. (…) Friedrich Schlegel, der den Essay als intellektuelles Gedicht bezeichnet hat, hätte an Schloyers beweglichen Spaziergängen des Intellekts seine Freude gehabt.“
Sibylle Cramer, Süddeutsche Zeitung

„Christian Schloyers Gedichte lesen sich wie ein Exerzitium in romantischer Magie. Ihr ebenso ernsthaft wie augenzwinkernd erklärtes Ziel ist nichts Geringeres als das wieder-gefundene Paradies einer vorsprachlichen Unschuld. (…) In den gelungenen Augenblicken dieses Bandes aber verbinden sich postmoderne Poetik und romantische Sujets zu Traumtänzen von beträchtlicher Anmut.“
Heinrich Detering, Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Originelle Wortschöpfungen vorrangig erotischen Vokabulars, hintergründig eindeutig und dennoch in keiner Verszeile obszön, heben das Buch in den Rang eines neuzeitlichen lyrischen Kamasutras.“
Dorothea von Törne, Die Welt

„Schon lange hat es keinen lyrischen Debütanten mehr gegeben, der sich so vorbehaltlos den Suggestionstechniken der Sprachmagie anvertraut hat.“
Michael Braun, Frankfurter Rundschau

„Das ist das Spielerische an Schloyers Gedichten, hier wird in kauf genommen, dass gleichermaßen Ursinn und Unsinn produziert wird. (...) Fast immer entstehen Verse, die von einer großen Meisterschaft zeugen.“
Dirk Kruse, Bayerischer Rundfunk

„Von zarter Eleganz sind die Gedichte, bezaubernde Ambivalenzen halten sie bereit. (…) Tangiert von subtiler Leidenschaft und Erotik schwebt die Sprache sehr schimmernd im Orbit des Vagen, quasi als Andeutung ihrer Substanz.“
Ron Winkler, BELLA triste

„Semantische Hochspannung“
Schloyers Debütband „spiel · ur · meere.“ ist die gelungene Umsetzung eines poetologischen Programms, das neben der im Modus des ‚Als ob‘ hoch ernsthaften Arbeit an einer Sprachwiedergewinnung auch erkenntnistheoretische Interessen verfolgt. Deren Fragestellung informiert uns – so wir es aufgeben, mehrdeutiges Bild auf eindeutige Erfahrung beziehen zu wollen – Wort für Wort über die großartigsten Möglichkeiten der „vers / chiffrierung“
Marcus Roloff, www.fixpoetry.com/feuilleton/kritiken/christian-schloyer/spielurmeere