Poetry Games – dichterische Spielkonzepte
… für nichtlineare Lyrik, Digitale Poesie & Gaming
Neulich habe ich festgestellt, dass meine Ausflüge in die Digitale Poesie weiter zurückreichen als meine erste Buchveröffentlichung. Ludopoetik – oder: ein spielerischer Umgang mit Lyrik, wo Spielelemente zur dichterischen Form werden (und umgekehrt) – fasziniert mich schon lange. Warum soll Lyrik nur zwischen zwei Buchdeckeln geschehen? Warum kann Online-Poesie nicht mehr sein als eine Browser-Präsentation von Gedichten, die keinen Buchverlag finden? Warum Lyrik nicht als Spielpoesie begreifen, warum nicht online Poetry Games aus Gedichten machen – rekombinierbar, multidimensional, nichtlinear?

wortheim – Digitale Poesie im Online-Labyrinth
Ja, wortheim ist tatsächlich verspielte Online-Poesie, ein Labyrinth-Spiel nämlich, bei dem es keinen Ausgang zu finden gilt, sondern 95 unentdeckte Räume. wortheim ist ein kleines Internet-Fossil vom Beginn der Nullerjahre (der psychedelischen Homepage-Ästhetik der späten 90ern verhaftet), das ich soeben liebevoll restauriert habe.

Die gif-animierten Türelemente mit ihren onmouseover-Effekten mussten behutsam aus ihrem veralteten, dysfunktionalen Code geschält und in aktuelles JavaScript übersetzt werden, damit das Bilder- und Gedichtelabyrinth anno 2002 auch auf heutigen Browsern strahlen kann – ohne die verschrobene Ästhetik und das „atmosphärische Spielgefühl“ des Originalkunstwerks einzubüßen.
Retro-Poetry Game – wiederbelebt & bunt wie auf LSD
Ganz peinlichkeitsfrei ist die (Wieder-)Veröffentlichung der wortheim-Räume für mich nicht – es ist mein allererstes Poetry-Gamekonzept, entstanden unmittelbar nach den Anschlägen auf das World Trade Center, inmitten des Studiums in Erlangen, fünf Jahre vor meiner ersten Buchveröffentlichung.
In den digitalen Poesie-Irrgarten fanden ihren Weg vor allem erste dichterische Experimente und „lyrische Gefühlsverarbeitung“ zwischen Unmittelbarkeit und pathetischem Ernst. Zudem künstlerische Fotografien, die ihr Photoshop-Wesen stolz ausstellen.
Wer sich hiervon nicht verschrecken lässt, findet in wortheim neben Einblicken in mein labyrinthisches Innenleben eine originelle Rätselmechanik mit verschlungenen Gängen, Teleportern (hier Deremator genannt) und verborgenen Geheimtüren – samt eines unterirdischen Kellergangs mit bedrohlichen Schraubtüren und Wachsfotografien meines Vaters. Außerdem auch Texte von zwei mir lieben Dichterfreund:innen aus jener Anfangszeit.
#lyrik-labyrinth | #online_game | #digitale_poesie
Poetry Greenhouse Bingo – Gedichte-Generator im Retro-Look
Digitale Poesie als Online Game, bei dem aus bunten Boden-Feldern Buchstaben-Saaten heranwachsen und sich zu vollständigen Wort-Pflanzen entwickeln. Die Textdatensätze hierzu, passenderweise aus meinen Lyrikbänden spiel · ur · meere und panik · blüten, können durch eigene User-Texte ersetzt werden.

Spielpoesie mit visuellen Zufallsgedichten
Das System arbeitet mit einem einfachen Triggerprinzip: Sobald drei waagrecht oder senkrecht nebeneinanderstehende Buchstaben eine Sequenz bilden, vervollständigt das Programm diese automatisch. Jede Pflanze wird von einer schützenden Blüte umgeben, die jedoch durchkreuzt werden kann: Neue Begriffe überschreiben bestehende radikal und erzeugen poetische Kollisionen.
Im Edit-Modus stehen drei Wortwelten zur Auswahl: ROT (Körper, Gefühl, Erotik), GRÜN (Natur, Landschaft, Tiere) und BLAU (Technik, Kunst, Philosophie). Hier können auch eigene Datensätze eingespeist, Farben angepasst und die Experiment-Dauer verändert werden.
Meditatives Poesie-Treibhaus auf 40 × 25 Feldern
Als Jugendlicher programmierte ich kleine C64-Demos und war fasziniert vom organischen Wachstum von Zeichenteppichen, die sich gegenseitig „aufgefressen“ haben. Diesen Grundmechanismus habe ich für das Bingo-Treibhaus als dichterisches Spielkonzept fruchtbar gemacht. Programmiert wurde das Poetry Game Sommer 2025 innerhalb weniger Tage (mithilfe von Claude.ai) in Vanilla JavaScript.
Die Geschwindigkeit ist regelbar – von kontemplativ (ideal als begleitendes Schreibspiel) bis zum „Flug“-Tempo, das den kompletten Prozess in wenigen Minuten erlebbar macht. Jede Session ist einzigartig, jeder poetische Moment unwiederbringlich – ein digitales Mandala aus Wörtern, das nach seiner Vollendung wieder zu Pixel-Staub zerfällt.
#poesie-treibhaus | #zufallslyrik | #online_game
D473!br0w53r – Lyrisches Darknet als Browser-Spiel
Nichtlineare Lyrik als „Computerspiel“ im wortwörtlichen Sinne, bei dem sich (vermeintliche) Datei- und Ordnernamen als Gedichtzeilen entpuppen. Was als harmlose LYRIK.ZIP beginnt, entfaltet eine aberwitzige Verzeichnisstruktur mit zunehmendem Eigenleben – inklusive Easter Eggs, sarkastischer Computerstimme und einem zerstörten Manifest zum perfekten Gedicht.

Verzeichnisstrukturen als ludopoetische Darknet-Satire
Das System nutzt Ordner-Navigation als dichterisches Spielkonzept: Die Datei- und Ordnernamen innerhalb eines Verzeichnisses ergeben zusammen einen Gedichtabschnitt, ihre korrekte Reihenfolge wurde durch Sortieren nach Entstehungsdatum erreicht. Die Klickbarkeit der Ordner ermöglicht verschiedene Pfade durch das Gesamtkunstwerk: „Gedichte“ werden dadurch rekombiniert statt linear.
Von der Desktop-Installation zum Browser-Game in Leetspeak-Ästhetik
Ursprünglich war unZIP_Lyrik eine Desktop-Installation für die Nürnberger texttage 2021, „programmiert“ als manipulierte Windows-Umgebung. Die Übertragung ins Web erfolgte 2024 mithilfe von ChatGPT und Python in PHP / Java. Das lyrische Material enthält Vorstufen zu VENUS–MARS, wo es als QR-Code in den MARS-Band eingebunden ist: Das Buch verschwistert sich mit digitaler Poesie.
#nichtlineare_lyrik | #browsergame | #VENUS–MARS
JUMP ’N’ RUN – nichtlineare, visuelle Lyrik als Retro-Game
Um 2015/16 kam mir die Idee, meinen dritten Lyrikband als Side-Scroller zu gestalten – im Stile jener Computerspiele der 1970er- und 80er-Jahre, die aufgrund ihrer simplen 2D-Grafik eigentlich nichts anderes sind als Spiele zum Umblättern. Hat man einen Bildschirm durchlaufen, wird der Inhalt vollständig ersetzt und das Betreten einer neuen Landschaft imaginiert. Ich dachte mir: Das ließe sich doch einfach als Buch gestalten.
Ludopoetik & kinetische Lyrik – oder: Gedichte zum Zocken
Das Ergebnis: JUMP ’N’ RUN – 8 Spielwelten à 8 Level, also 64 visuelle Lyrik-Minigames. Die Texte verteilen sich über Doppelseiten in 4×4-Textblöcken (Plattformen). Sprungpfeile, Leitern und Treppen zeigen an, in welchen Kombinationen die Blöcke gelesen werden können. Die Gedichte setzen sich bei jedem Erkunden neu zusammen – nichtlineare Poesie im wahrsten Sinne.
Aufwändige Computerspielkunst als Herz einer Science-Fiction-Lyrik
Damit dies grammatikalisch funktioniert, musste ich unzählige semantische Scharnierstellen schaffen. Die grafische Umsetzung erwies sich als derart komplex, dass ich Layout und die druckfertige Gestaltung selbst zu übernehmen hatte: insgesamt weit über 1000 Arbeitsstunden, damit Lesende zu „Player one“ werden und der zugehörigen Klangkunst lauschen können.
#nichtlineare_lyrik | #spielpoesie | #buch_als_computerspiel