VENUS–MARS: Planetare, körperliche & sprachliche Grenzen – Spielkonsole der Poesie
Was ist VENUS–MARS in einem Satz? Ein gleichsam verzweifeltes wie hoffnungstolles „Verzocken“ von Sprache und Form … zwischen „toxischen Marsbesiedelungsphantasien“, klimakatastophaler Gegenwart und Zukunft – und der Frage nach „Identifikation jenseits von männlich–weiblich“.
MARS …
… ist ein Text Adventure Game (im Stil des gleichnamigen Computerspielgenres aus den 1970er Jahren). In diesem Spiel bist du Überlebende:r nach einer Notlandung auf dem roten Planeten. Erkunde die feindselige Landschaft und suche Zuflucht in einer von Menschen bewohnten Siedlung. Auf dem MARS bewegst du dich zwischen Traum und Realität – und weißt dabei nicht, woher deine Erinnerung an die verlorene Erde stammt.
Vielleicht doch keine gute Idee, die Zukunft der Menschheit auf dem MARS zu suchen? Durchspiele das End-Game eines kapitalistisch-toxischen Patriarchats – taumelnd zwischen Terraformingfantasien, Albträumen und erd-schweren Sehnsüchten.
VENUS …
… ist ein beinahe „klassischer“ Lyrikband, unterteilt in drei Zyklen. „Sphäre“: eine Zwischenwelt, irgendwo zwischen Jetzt und naher Zukunft, zwischen „Rocket Punk“ und KI-Zeitalter. „Polis“: eine Sammlung gegenwartskritischer, ungewohnt politischer Gedichte – ein poetischer Flirt mit der Politsatire. „Soma“: ein Gender-(Selbst-)Erkundungsflug, eine Liebes- und Leibeserklärung für ein nicht-binäres Geschlechterverständnis.
Auch VENUS rotiert um die „selbstzerstörung“ des Homo Sapiens, erprobt „neue ansätze im klagegesang“, will „berühren um zu vergessen“, begibt sich (von Populismus, Patriarchat und Leistungsfetisch angewidert) in Sprach- und Selbsterforschung.
Zuschriften und Rezensionen für VENUS–MARS
Es könnte auch anders gesagt sein. Darauf zielen die Gedichte des janusköpfigen Bandes auch durch eigenwilligen Einsatz der Interpunktion, indem das Wortmaterial auf Doppeldeutigkeiten abgeklopft wird: Buchstabenfolgen werden verdreht, Gleichklänge fruchtbar gemacht, (…), Komposita aufgesprengt, als stetig wiederholte „warnung vor den nut + nahtstellen der gesamtzusammenhänge“. „Venus-Mars“ ist ein im besten Sinne experimenteller Band, (…) der ein anderes als die Verstörungen und Zumutungen der Welt einhegendes Denken provozieren will. (…) Die sprachliche Genauigkeit und der Witz der Gedichte erzeugen einen ethischen Ernst und direkte Dringlichkeit.
Beate Tröger, Frankfurter Allgemeine Zeitung
Eben las ich „Venus“ einfach mal am Stück und das glimmert und flammt noch kräftig nach, eine solch aufbegehrende sprachwirbelnde zweifellige Wucht, das Kleist'sche „weggeschnittene Augenlider“ fiel mir dazu ein, wie Du mythische, alltägliche, apokalyptische und Computerwelten clashen lässt, Selbstbilder und die „Matrix“ entdeckelst, immer wieder unser holpriges Abrauschen in die globale Katastrophe zeichnest.
Karin Fellner
Verdreht Kopf und Geist auf die wohl schönste Art und Weise und lädt dabei in einer dystopischen Szenerie zum Philosophieren ein: über Klimakatastrophe (…) über Patriarchat und Geschlechterkategorien. (…) Wer auf konfrontative Schlagfertigkeit, Science-Fiction und Sprachakrobatik steht, wird mit den Bänden viel Freude haben. Als besonderes „Easteregg“ ist im Band MARS via QR-Code der Zugang zu einem „Darknet“ versteckt, das so einige Überraschungen bereithält.
Nele Wicher, ART. 5|III – Kunst- & Kulturzeitung
Doch VENUS-MARS ist mehr als politische Kritik. Schloyer spielt mit Sprache, Humor und der Offenheit des Textes. (…) Gedanken, Gesprächsfetzen, Zitate oder Fake-Zitate bilden ein collagiertes Stimmengewirr, das an die Vielschichtigkeit des Internets erinnert: (…)
Seine Lyrik ist so vielschichtig, dass die Leser:innen wie die Überlebenden auf dem MARS navigieren müssen – mit der Gefahr, sich zu verirren, aber auch mit der Möglichkeit, neue Bedeutungen zu entdecken und zurückzukehren, um sich zu korrigieren. Schloyers Werk ist ein Abenteuer für Kopf und Sprache – eine Spielkonsole der Poesie.
Florian Birnmeyer, Gastrezension auf lyrikkritik.de
Der (…) bruchstückhafte Charakter des Sprechens nach der Bruchlandung, des Sprechens in dünner Luft, (…) in buchstäblich atemberaubender Umgebung manifestiert sich vor allem in der kontinuierlichen Arbeit des Autors mit Auslassungspunkten. Diese Ellipsen bevölkern sämtliche Gedichte des Doppelbandes und suggerieren ein erschöpftes, verstörtes Atemholen ebenso wie die Vorstellung, dass die vorliegenden Gedichte nur aus monologischen Fetzen [bestehen]. Gleichzeitig sind es gerade die hier entstehenden Sprechpausen, die die in ihrem Stottern so eindringliche Rhythmizität der Texte verursachen. (…)
In syntaktischer Hinsicht führt das Aufbrechen von Satzbaukonventionen ein ums andere Mal zu Mehrfachbezügen von Satzteilen, die von der Orientierungslosigkeit des gestrandeten Zwangskosmonauten ebenso zeugen mögen wie vom Schöpfungsprozess einer neuen Sprache in buchstäblich weltfremder Umgebung. (…) [Christian Schloyers Gedichte] beweisen eindrucksvoll: Zur Erforschung neuen kosmischen Terrains findet die Lyrik die geeignetste Sprache. Sachbücher werden erst später geschrieben.
Jürgen Bulla, Literaturportal Bayern
Schloyers Kapitalismuskritik ist unverstellt. Sie wird bildgewaltig und mit sprachlicher Brillanz vorgetragen. (…) Eine strahlende Skyline, eine hitzetote Innenstadt. Die glänzende Welt ist „vulnerabel“. Wenn die da oben nach unten fäkalieren (…), dann wird es unten dreckig. Schon in der Widmung des Mars-Abschnitts werden die „Trumps und Elon Musks“ dieser Welt angesprochen, sie und die etwas Kleineren wie Christian Lindner „beispielsweise“. Der Gedichtband erschien im August 2024, also vor der Präsidentschaftswahl in den USA und der Selbstzerstörung der Bundesregierung in Deutschland. Die Gedichte gleichen einem lyrischen Vorspiel. Sie weisen den Weg zur aktuellen Lage.
Christian Schloyers Gedichtband ist poppige Game-Poesie, immer etwas zu bunt, gezwungen lustig und doch herrlich wild, gespickt mit einer nerdigen Portion Commodore 64 Nostalgie, gegen alle Konventionen und mit starken Botschaften – schwindelerregende Gedanken aus der Schwerelosigkeit zwischen Mars, Erde und Venus.
Thorsten Schulte, literaturkritik.de
Nachdem ich die ersten Texte des neuen Gedichtbandes von Christian Schloyer gelesen hatte, war ich bereits tot. (…) Der Sauerstoff wird knapp, nach drei Gedichten hatte ich mich falsch entschieden. Zurück zum Anfang. Die Texte führen mich zwischen Traum und Trauma über einen Planeten, den die Menschen versuchen zu besiedeln. (…)
Die Texte rütteln mich durch wie bei einem Raketenstart. Ein interstellares Schweben, Gesänge von weither und irrsinnig nah. Alles wird nur wenige Jahre weitergedacht: die Großmannssüchte à la Musk, der Sog der Selbstzerstörung. Die Zukunft wird gewesen sein, und selbst das All ist nicht groß genug. Wem 2024 in Teilen wie ein Science-Fiction-Film vorkam, dem rate ich unbedingt zu Christian Schloyers neuem Band. Allen anderen auch.
Martin Beyer (auf Facebook)